Presseartikel: »Dem Erbe der Alten verpflichtet«

von WOLFRAM FROMMLET für die Schwäbische Zeitung

Den Namen Gabur hat Mike Schilling behalten. In diesem renommierten Dachdecker-Betrieb erlernte er das Handwerk, dann wurde er für Erich Gabur der „Retter“ der Firma. Für eine Zukunft seines Handwerks wird der heutige Geschäftsführer Mike Schilling zum Pragmatiker und Visionär.

Mike Schilling Artikel Schwäbische Zeitung
Mike Schilling vor handwerklich (links) und industriell hergestellten Dachziegeln (rechts). ©schwäbische | Foto: Baschar Kasou

Von 1987 bis 2000 machte Schilling die „klassische Laufbahn“ – Geselle, Kapo, beaufsichtigte erst eine, schließlich drei Baustellen, bis kam, was früher im Handwerk selten war – dass es keinen Nachfolger für den Betrieb gab. Erich und Juliane Gaburs Sohn wollte Elektro-Ingenieur studieren. Und plötzlich stand Mike Schilling vor einer Lebensaufgabe (in die er von Anbeginn seine Frau Simone einbezog), die ihm Angst machte und zugleich begeisterte: Diesen Betrieb zu übernehmen, die personalisierte Zukunft zu werden. Wenn er erzählt von diesem komplexen Prozess, ist dies nicht die Welt, die man so oft im Wirtschaftsteil der Zeitungen findet: Firmen, an ausländische Investoren verkauft, aufgesplittert, verschlankt, ausgegegliedert.

Mit Gabur sollte mehr als ein Name erhalten, sollte ein Handwerk bewahrt werden, das Tradition und Moderne ist, sollte im wörtlichen Sinne von den einen Händen in die anderen gegeben werden. Gabur und Schilling waren eine zukunftsorientierte Kombination. „Wir sind leidenschaftliche Dachdecker, die es bis zur Perfektion treiben.“ Kein „Sanierer“ von außen, sondern zwei Generationen, die sich lange schon kannten. Ein häufiger Fehler wurde so vermieden. „Mancher Alte verpasst den richtigen Moment zu übergeben und wird zum Eigenbrötler.“

In einer Stadt wie Ravensburg, erklärt Mike Schillling, überlebt man mit einem so großen Betrieb nur mit klaren Strukturen, „muss man als Chef Allrounder sein. Eine Universalwaffe“. Das Spektrum reicht vom „Inbegriff eines Daches“ bei der Sanierung der Evangelischen Stadtkirche, zu Dächern alter Patrizierhäuser bis zu Solarpanelen.“ Eine Zeit großer Umbrüche sieht Mike Schilling. „Jetzt kommt die Zukunft. Jetzt wird wieder relevant, was man früher schon gemacht hat.“ Einen Wissenspool aus dem Gestern und dem Heute im Dachdeckerverband aufzubauen, ist sein zentrales Anliegen in der Innung, als Vizepräsident im Landes- und Bundes-verband. Und so dem Handwerk mehr Ansehen zu verschaffen.

„Wir sind im Aufschwung des Alten. Die Jungen müssten die Gräber aufmachen, weil die Alten nichts hinterlassen“, sagt Schilling. Da bremste, da warnte niemand. Auch nicht bei Bausünden, die er mit Verve aufzählt: Die Moderne wurde häufig zur Mode. Neue Materialien wurden hemmungslos eingesetzt, Dämmungswellen mit Verbund- und Kunststoffen.

Die Sanierung der Evangelischen Stadtkirche in Ravensburg war für ihn ein Erfolg: Ziegel runter, reinigen und wieder rauf. „Das hat mit hundert Prozent Schönheit zu tun“, mit historischem Bewusstsein und mit seinem zukunftsorientierten Verständnis von Arbeit. Er stellt sich zwischen die sterilen, industriell hergestellten bunten Dachziegel und die aus hochqualitativer Handarbeit. Die neuen Ziegel am Grünen Turm kommen aus einer Tonmanufaktur in Mecklenburg-Vorpommern.

Seit Jahrhunderten war, nach Schillings Verständnis, der Bau eines Daches „beherrschbar“, und das galt für den Bau des Hauses darunter genauso: der bewusste, der schonende Umgang mit den Materialien. Und heute? „Wir reißen raus, werfen weg, stellen neu her.“ Eine Million Handwerker, gibt Schilling zu bedenken, recycelt, schafft Konstrukte, die sich langfristig umbauen lassen. „Schön wäre, wenn zehn Millionen Handwerker recyceln würden und nur eine Million Neues herstellen würde.“ Das Handwerk müsse dafür aber wieder mehr in Entscheidungsebenen einbezogen werden.

Es braucht auch den Ausbau von Dächern für erschwinglichen innerstädtischen Wohnraum. Aber was geschehe großenteils? Die Küche muss aus Edelstahl sein, italienische Fliesen. Muschelkalk. Alles andere fliegt raus. Schilling: „Die Nachbarn sollen sehen, dass es uns gut geht.“ Aber Handwerker könnten raten, „wie es sparsamer, schonender ginge. Die Handwerker müssen wieder den Stellenwert haben wie vor 100 Jahren. Aus nichts was machen. Sie waren Künstler“. Ein positives Beispiel, in das die Firma Gabur involviert ist, ist die alte Spinnerei in Wangen: die Hülle der alten Industriebrache bleibt bestehen, innen entsteht verdichteter Wohnraum.

Mike Schilling denkt vernetzt in nachhaltigen Kreisläufen: keine schnelle Ware, sondern Handwerk, dem Erbe der Alten verpflichtet, das Schönes schafft, ein Dach für viele, das eine Generation überdauert; Arbeit, die schonend mit Rohstoffen umgeht, verdichtete Lebensräume, die wandelbar sind.

Artikel von WOLFRAM FROMMLET, veröffentlicht am 14. Juli 2020 in der Schwäbischen Zeitung.

Link zum Artikel: https://www.schwaebische.de/landkreis/landkreis-ravensburg/ravensburg_artikel,-dem-erbe-der-alten-verpflichtet-_arid,11245662.html

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